30 Jahre Grüne im Bund

Was geschah damals eigentlich im Landkreis? Artikel aus der Eifel-Zeitung KW 06/2010

Bernkastel-Wittlich. Die jüngere Generation kann sich die politische Landschaft ohne die Grünen nicht vorstellen. Für ihre Großeltern waren sie seinerzeit echte Schreckgespenster. Langhaarige, strickende Männer, in aller Öffentlichkeit stillende Mütter, demonstrierende Friedensfreunde und singende Atomkraftgegner, und Joschka Fischer, der abgebrochene Gymnasiast, Taxifahrer und Straßenkämpfer, leistete seinen Eid im hessischen Kabinett – in Turnschuhen!

Was war damals eigentlich im Kreisgebiet los? Die Eifelzeitung sprach mit drei Grünen der ersten Stunde: Jutta Blatzheim-Roegler (Stadtrat Bernkastel-Kues, Ortsbeirat Andel), Michael Wagner (Kreistag, Stadtrat Wittlich) und Thomas Schmitt-Schäfer (Sprecher des Kreisvorstandes).

Die Bundespartei war 1980 die erste nach den Regeln des Parteiengesetzes gegründete Gliederung der Grünen. Landes- und Kreisgruppierungen zogen nach, Bernkastel-Wittlich im November 1982 im Hotel zur Post in Wengerohr, schließlich wollte man bei der Bundestagswahl dabei sein. Wagners Erinnerung ist noch sehr genau. „Es waren ein gutes Dutzend Männer und Frauen aus dem Kreisgebiet, die sich dort mit Unterstützung einiger Trierer „Vorgrünen“ zusammen fanden. Stark vertreten waren Mitglieder aus der Wittlicher Bürgerinitiative gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Hambuch-Illerich und den Nato Doppelbeschluss.“ Der erste Vorstand leitete, weil ohne Kassierer, noch kommissarisch die Geschäfte. Kassierer wurde schließlich Walter Schmede, der mit Margret Sellin, Michael Wagner aus der Wittlicher BI, Karl- Ludwig Gottschalk und mit Rainer Stablo den ersten Gesamtvorstand bildete.

1983 ging es gleich richtig zur Sache. Bernkastels erste Grüne, Jutta Blatzheim-Roegler aus der Friedens- und Anti-Atomkraftwerksbewegung trat ein und war lange Jahre Kreis-Sprecherin der Partei. Ebenfalls friedensbewegt war und ist Thomas-Schmitt-Schäfer. „Das Projekt, Staat und Gesellschaft zu zivilisieren, gewaltfreie Lebens- und Konfliktformen zu finden, war ja nicht abgeschlossen.“ Fundi oder Realo: Diese Zuordnung, mit denen außerhalb der Grünen die Parteimitglieder gerne in Schubladen eingeteilt werden, hat für unsere drei Befragten wenig Aussagekraft. Pragmatischer geworden, ja, das sind sie wohl alle drei.

Doch bereits in jungen Jahren trieb sie bei aller Parteienkritik die Überzeugung um, dass in einer parlamentarischen Demokratie eben nicht nur außerhalb dieses Systems gekämpft und gearbeitet werden dürfe. „Einfluss nehmen auf die tatsächliche Lebenswirklichkeit der Menschen“ fasst diesen Grundgedanken Schmitt-Schäfer zusammen; Wagner war es wichtig, „…in meinem direkten Lebensumfeld politisch aktiv zu sein“ (übrigens ohne je persönlich Lust auf Mainz oder Berlin verspürt zu haben), und Blatzheim-Roegler fand während ihres Politologie-Studiums heraus, „dass es vielleicht nicht reicht, sich auf der Straße den Hintern platt zu sitzen“.

Der rote Faden der Partei? „Erhalt und Bewahrung von Mutter Erde“, meint dazu Schmitt-Schäfer, „mehr im Einklang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen“. Alle erinnern daran, dass sie 1990 aus dem Bundestag geflogen sind, weil sie nicht müde wurden, die weltweite Klimakatastrophe beim Namen zu nennen, inzwischen fast schon schickes Allgemeingut, damals als schändliche Provokation empfunden. „Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter“, lautete ein zentraler Wahlkampf-Slogan. Waren sie Hellseher? Waren sie mutiger als andere? Waren ihre Gedanken nachhaltiger?

Kleine und große Erfolge pflastern den Weg der drei Lokalpolitiker. Da ist die vietnamesische Flüchtlingsfamilie aus Wehlen, deren Abschiebung man verhinderte. Da ist der Einsatz des damaligen Umweltministers Jürgen Trittins für die Nivellierung des Bundesnaturschutzgesetzes, der auf die Intervention aus Bernkastel-Wittlich zurückgeht. Es ging – und geht – um die Hochmoselbrücke bei Zeltingen, „auch wenn das Land uns nun doch ausgetrickst zu haben scheint“ (Blatzheim-Roegler). Da ist der verhinderte Ferienpark für Morbach. Da sind Gründungsversammlungen von Ortsvereinen, da ist das moderne kreisweite Müll-entsorgungssystem mit niedrigen Gebühren, für das man eine Bürgerbefragung initiierte.

„Mit vier Stadträten spielen wir in Wittlich eine starke Rolle“, so Wagner, „und haben schon einmal mit einem Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters mehr als 20 Prozent errungen.“ (Anmerkung der Redaktion: Das war Stefan Moll im Jahr 2001) Gerne erinnert er sich an den ersten Auftritt im Kreistag 1984 mit dem 1990 verstorbenen Karl-Heinz Kaufmann. „Wir wurden bestaunt und permanent befragt, warum wir nicht wie die typischen Grünen aussahen.“ Wie die denn auszusehen hätten, wollten sie wissen: mit Fahrrad und langen Haaren! Was klingt wie aus dem Märchenbuch, war lange nervtötende Realität. Da dürfen die vielen „indirekten“ Erfolge nicht wundern, wie Blatzheim-Roegler sie nennt. Erfolgsgeschichten wie der Jugendpfleger von Bernkastel-Kues: Anträge, die von den Grünen kommen und deshalb abgelehnt werden, um zwei Jahre später als Idee von Mehrheitsparteien aufgegriffen zu werden und noch einmal als Antrag eingebracht zu werden. „Als Grüne muss man halt einen langen Atem haben und zäh sein“, konstatiert sie.
Und was haben die drei am Abend des 6. März 1983 getan, als die Grünen erstmals in den Bundestag einzogen? „Vermutlich auf irgendeinem Friedenstreffen“, meint Schmitt-Schäfer. Blatzheim-Roegler und Wagner hingen vor den Fernsehern: Sie fand Kohl als Kanzler „unfassbar“, den Erfolg der eigenen Partei dagegen „klasse“. Wagner nahm´s ausnahmsweise mal euphorisch. „Ich habe alle Sender geschaltet und gejubelt, was das Zeug hält!“

Seitdem sind etliche Jahre ins Land gegangen. Opposition, rot-grün, schwarz-grün, Ampel: Die Grünen haben vieles ausprobiert, vieles gewagt, und was sich im politischen Alltag bewährt, kann lange halten. Also doch eine ganz normale Partei? Partei ja, weiterentwickelt ja, aber doch mit Wurzeln, die woanders liegen, das ist den drei Grünen aus Bernkastel-Wittlich wichtig. Rhetoriker Schmitt-Schäfer kreiert ein Bonmot: „Ein Riesling bleibt ein Riesling und wird mit der Zeit besser. So geht es uns auch.“

Ob sie dabei bleiben? Tun sie: mit Volldampf wie in den alten Zeiten. Michael Wagner: „Es lohnt sich allemal und ist wichtiger denn je zuvor!“

Grüne Zahlen 2010
Kreisverband: stabil 60 Mitglieder
Rheinland-Pfalz: ca. 2.500 Mitglieder
Deutschland: ca. 48.000 Mitglieder


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